Cezanne malte die Bilder vom Steinbruch Bibemus am Ende seines Lebens in den Jahren 1894-1904.
Der Steinbruch Bibemus wurde zum Rückzugsort für den Eigenbrödler, der sich regelmäßig mit den ihn umgebenden Menschen überworfen hatte[1]. Auf dem Gelände des Steinbruches gibt es ein kleines Haus, in dem Cézanne seine Malutensilien lagern konnte. Den Steinbruch kannte Cezanne seit seiner Schulzeit.[2]
Cezannes Bilder wurden abgesehen von den zahlreichen Malerkollegen vom damaligen allgemeinen Publikum wenig beachtet, teilweise verachtet und von Kritikern in der Presse beschimpft. Er verachtete seinerseits die bürgerliche Gesellschaft, deren konservativer Teil er selbst war. Cezanne war wohl ein schwieriger Zeitgenosse, auch mit „komplizierter“ Familienkonstellation. Der zu Lebzeiten geringe künstlerische Erfolg verlangte großes mentales Durchhaltevermögen. Einen Eindruck von seinen schwankenden Stimmungen vermitteln seine überlieferten Briefwechsel. Seine durch den Wohlstand der Eltern und die später durch Erbschaft gesicherte Existenz gaben ihm allerdings materielle Unabhängigkeit.
Der Steinbruch liegt zwischen Kiefern versteckt etwa 5 Kilometer östlich vom Stadtzentrum Aix-en-Provence. Ähnlich wie in Maulbronn geht die Geschichte des Steinbruches bis in die Römerzeit zurück. Die Nutzung wurde immer wieder für längere Perioden unterbrochen.
Phil Haber, ein Fotograf, berichtet auf seiner Webseite über den Steinbruch u.a.:“.. 1954 kaufte der amerikanische Künstler George Bunker einen Teil der Brüche. Bei seinem Tod 1991 vermachte er sie der Stadt Aix-en-Provence unter der Bedingung, dass sie als öffentlicher Park zur Erinnerung an Cézanne erhalten und niemals kommerziell entwickelt wird. (Zu George Bunker siehe auch George Bunker Landscapes, 1949-1989 : George Bunker : Free... ).
Im Jahr 2006, zum 100. Todestag Cézannes, eröffnete die Stadt die Brüche für die Öffentlichkeit, zusammen mit den anderen Cézanne-Stätten, die vom Fremdenverkehrsamt angeboten werden“ [3]
Heute gehört der Steinbruch zu einem großen Schutzgebiet um den Berg St. Victoire (Grand Site Concors Sainte-Victoire).
Der von den Steinhauern als "Stein oder Molasse von Bibémus" genannte Stein, ist ein poröser, durch Einlagerung von roten Tonen gefärbter, kalkreicher Stein, der aus Meeresablagerungen (Molasse) im Miozän ( vor ca. 7 - 23 Mill. Jahren) entstanden ist. [4]Der Name des Plateaus von Bibemus ist wahrscheinlich vom lateinischen Wort "bibere" (trinken) abgeleitet. Der leicht zu bearbeitende Stein wurde mit Hilfe von Keilen oder feuchten, aufquellenden Stöcken, die in Lücken des Gesteins gebracht wurden, aufgebrochen. Diese Technik stammt aus der Römerzeit und hinterließ an den Abbaufront zahlreiche Spuren von Spitzhacken.[5]
Das im 17. Jh. von Kardinal Mazarin entworfene Viertel im Süden der Stadt Aix zeugt heute noch von der früheren Nutzung des aus römischer Zeit stammenden Steinbruchs.
Über das Ende des Steinbruchbetriebes gibt es unterschiedliche Angaben. Als wahrscheinlichste Variante erscheint ein Zeitpunkt in der ersten Hälfte des 19. Jh. (ca. 1830). Ende des 19. Jh. war der Steinbruch jedenfalls ein von Menschen verlassener Ort an dem Cézanne ungestört arbeiten konnte.
Die Gegend von Aix-en-Provence ist berühmt für die zahlreichen Versteinerungen von Tieren, die in diesen Ablagerungen zu finden sind.[6]
Der Steinbruch kann heute in geführten Touren in beschränktem Umfang besucht werden. 2025 findet eine große Ausstellung im ehemaligen Elternhaus Cezannes, dem Jas de Bouffan statt. Gleichzeitig gibt es geführte Veranstaltungen im Steinbruch von Bibemus, der auf Betreiben der Stadt Aix en Provence als Kulturstätte bewahrt wird.[7],[3],[8]
Der Steinbruch Bibemus war für Cezanne in verschiedener Hinsicht ein idealer Arbeitsplatz.
Die Wirkungskräfte der Natur in Gestein und Vegetation liegen hier offen zutage und können zudem ungestört von Publikum eingehend studiert werden. Nachdem menschliche Eingriffe nicht mehr stattfinden, zeigen sich natürliche Veränderungen besonders deutlich. Der Steinbruch wird von der Vegetation langsam überwuchert. Auch der Zerfall der Steinwände durch Erosion und Pflanzenwurzeln ist zu beobachten.
Die massiven Formen der Steine kontrastieren mit der Vegetation und dem blauen Provenzalischen Himmel in Farbe und Texturen und bilden so ein formenreiches, nahezu unerschöpfliches Reservoir für malerische Motive. Der Dreiklang von Ocker der Erde, dem Grün der ikonischen Pinien und dem Blau des Provenzalischen Himmels wurde in Cezannes Gemälden schon seit 1870 zum dominanten Thema.
Die Landschaft um Aix en Provence und der Montagne St. Victoire mit den typischen Pinien wird durch Cezanne’s Malerei zum Markenzeichen der Provence.[2]
Malen vor dem Motiv in Anschauung der „Natur“ war für Cézanne seit seiner Zeit mit Pissarro in den 1860 er Jahren unverzichtbar für seine Arbeit geworden. Er arbeitete über Tage, Wochen oder gar Monate an seinen Bildern. Seine Kunst sah er als eine Harmonie parallel zur Natur [1] Seine Werke waren keine spontanen nach Art der Impressionisten in kurzer Zeit an einem oder mehreren Tagen erstellten Studien. Auch war ihm nicht daran gelegen, wie die Impressionisten flüchtige Licht- oder Wetterstimmungen festzuhalten, sondern er wollte das Wesen der Natur/Landschaft als Ganzes in einer Komposition sichtbar machen.
In Bibemus zeigt Cézanne seinen Bildern, wie Spuren menschlicher Tätigkeit von der Natur überformt und langsam getilgt werden. Menschen sind nur in ihren Spuren, als abwesende sichtbar. Als Künstler strebte er selbst aber nach „Unsterblichkeit“ und malte damit wie viele andere auch gegen die eigene Vergänglichkeit an.
Die in Bibemus entstandenen Bilder der Motiv und Kontext Anlaß zu zahlreichen kunsthistorischen Untersuchungen und Interpretationen gab, die sich im Laufe der Zeit wandelten.
Eher düstere Interpretationen wonach Cézanne in Bibemus gewissermaßen aus dem Grab heraus gemalt habe und sein eigenes schwieriges Leben verarbeitet habe sind in den Hintergrund getreten. Inzwischen ist deutlich geworden , dass Cezanne großes Interesse am Vorgang des „Sehens“ hatte und sich zudem auch mit Geologie befasste.[9] Seine Bildtheorien sind in seinen Briefen und den kolportierten Gesprächen mit Zeitgenossen dokumentiert. Manches daran erscheint widersprüchlich oder schwer fassbar, aber ein geradezu wissenschaftliches Interesse am Sehen und dem Vorgang des Malens von Landschaft ist unbestritten.
Cezanne malte insgesamt 11 Ölbilder und 16 Aquarelle im Steinbruch Bibemus.
Viele davon sind in einem hervorragenden Online- Werkverzeichnis zu sehen : https://www.cezannecatalogue.com/
Cezanne’s bedächtige Malweise, das Bild Stück für Stück aus Farbflecken, die auf der ganzen Fläche verteilt wurden, zu verdichten ähnelt geologischen Sedimentationsprozessen. Einer seiner größten Verehrer der Dichter Joachim Gasquet hat darüber ausführlich und in geradezu hymnischen Texten geschrieben.[9]
Die Massen der Felsblöcke kommen der Formgebung durch Cezannes Pinselführung entgegen. Felspartien korrespondieren von Natur aus mit dem geometrischen Gewebe der Pinselstriche des Malers.
Sein Umgang mit der Perspektive führte zu merkwürdig „flachen“, abstrahierenden Bildern ohne ausgeprägte räumliche Tiefe und virtuose Modellierung der Motive durch Licht und Schatten. Er wollte den Raum nur durch Modulation von Farbtönen darstellen. Eine traditionelle „Luftperspektive“ die den Hintergrund in dunstigem Blau auflöst, lehnte er ab. Er war auch nicht darauf aus, eine atmosphärische Illusion wie die Impressionisten zu erschaffen.
Cezanne untersuchte in seinen Bildern auch immer den Prozess des Sehens. Er hatte erkannt, dass das Auge nur ein optischer Apparat ist, der Informationen an das Gehirn liefert. Es ist das Gehirn des Menschen, das die Lichtreize in sinnhafte Bilder verwandelt. Er wollte mit „unschuldigem Auge“ malen, d.h. das gesehene als gewissermaßen noch nicht vom Gehirn interpretierte oder erkannte Farbflecken in einem „natürlichen“ Vorgang auf der Leinwand zu einem der Natur ebenbürtigen Bild verdichten.
Vor allem Cezannes späte Landschaftsbilder haben etwas unvollendetes. Selbst in den Werken, die dicht ausgearbeitet sind scheint der Malprozeß nicht abgeschlossen. Der Betrachter „malt“ sozusagen an den Arbeiten weiter, denn das Gewebe der Pinselstriche wird unbewusst stets mit der Realität abgeglichen. Der Reiz der Bilder besteht in der Differenz zwischen Bild und Realität, dem Unvollendeten, das nicht sichtbar ist aber immer im Bild mitschwingt.
Quellen:
[1] P. Cézanne und Rewald, Cezanne Briefe. in Diogenes-Kunst-Taschenbuch, no. 5. Zürich: Diogenes, 1979.
[2] B. M. Boyle, „(PDF) Paul Cezanne, Quarry at Bibémus, 1895–1900 - French Paintings and Pastels, 1600–1945 The Collections of The Nelson-Atkins Museum of Art“, in French Paintings and Pastels, 1600–1945The Collections of The Nelson-Atkins Museum of Art (Kansas City: The Nelson-Atkins Museum of Art, 2021), A. M. DeGalan, Hrsg., 2021. doi: 10.37764/78973.5.710.2088.
[3] P. Haber, „In the Footsteps of Cézanne, Part III: The Bibémus Quarries“, Phil Haber’s Photography Notes. Zugegriffen: 12. März 2025. [Online]. Verfügbar unter: https://philhaber.com/2011/11/27/in-the-footsteps-of-cezanne-part-iii-the-bibemus-quarries/
[4] „Visualiseur InfoTerre - Geologie Viewer Frankreich“. Zugegriffen: 16. März 2025. [Online]. Verfügbar unter: https://infoterre.brgm.fr/viewer/MainTileForward.do
[5] L. Roux und Y. Dutour, „Lithotheque 13 - Aix-en-Provence - Plateau de Bibémus - Géologie et l’Homme“, Aix-en-Provence - Plateau de Bibémus. Zugegriffen: 16. März 2025. [Online]. Verfügbar unter: https://www.lithotheque.ac-aix-marseille.fr/Affleurements_PACA/13_aix_bibemus/13_aix_bibemus_geolhom_exploitation.htm
[6] J. Gaudant, A. Nel, D. Nury, M. Véran, und G. Carnevale, „The uppermost Oligocene of Aix-en-Provence (Bouches-du-Rhône, Southern France): A Cenozoic brackish subtropical Konservat-Lagerstätte, with fishes, insects and plants“, Comptes Rendus Palevol, Bd. 17, Nr. 7, S. 460–478, Aug. 2018, doi: 10.1016/j.crpv.2017.08.002.
[7] C. Cabon, „Aix-en-Provence: auf den Spuren von Cézanne“, FRANCE.FR. Zugegriffen: 25. März 2025. [Online]. Verfügbar unter: https://www.france.fr/de/artikel/aix-en-provence-auf-den-spuren-von-cezanne/
[8] „Carrières de Bibémus - Webseite 2“, Aix-en-Provence, ville de Cezanne. Zugegriffen: 2. März 2025. [Online]. Verfügbar unter: https://www.cezanne-en-provence.com/en/the-cezanne-sites/carrieres-de-bibemus/
[9] A. Byrd, „The Brush Stroke as Catastrophe: Gasquet’s Cézanne and the Paintings of Bibémus Quarry“, RACAR Rev. Art Can., Bd. 34, Nr. 1, S. 41–52, Mai 2020, doi: 10.7202/1069499ar. zugegriffen : 01.05.2025 [Online] Verfügbar unter: The Brush Stroke as Catastrophe: Gasquet’s Cézanne and the...